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Interview mit Matthias Steiner – Ich höre als gesunder Mensch auf

  • Derk Hoberg
Olympiasieger Matthias Steiner hört auf. Kurz vor Bekanntgabe seines Rücktritts sprachen wir mit ihm und blickten auf seine Karriere zurück. Er verrät, dass der Rücktritt nichts mit seiner Gesundheit zu tun hat und warum ihm der Sport stets Kraft für sein Leben gegeben hat.

netzathleten: 196 KG sind bei den Olympischen Spielen in London auf Dich gestürzt. Bilder, die man nicht so schnell vergisst. Daher die wichtigste Frage vorneweg: Wie geht es Dir inzwischen?
Matthias Steiner: Inzwischen wieder blendend, wobei ich bis zum Ende des vergangenen Jahres zu kämpfen hatte. Zwischenzeitlich dache ich schon, die Schmerzen würden mich mein Leben lang begleiten, aber es wurde langsam besser.

netzathleten: Obwohl es Dir wieder gut geht, spürst Du einen körperlichen Verschleiß?
Matthias Steiner: Nein, das war nicht das Problem. Ich habe mich gerade erst von den Ärzten durchchecken lassen und bin ein komplett gesunder Mensch. Das geht von den stark beanspruchten Bereichen, der Knorpeldichte und Knorpelstärke über die Wirbelsäule bis hin zu den Blutwerten. Ich höre also als kerngesunder Mensch auf, aber die Familie geht jetzt vor.

netzathleten: Kommen wir zu Deiner Karriere. Wie hast Du es geschafft, bei sportlichen Großereignissen so häufig Deine besten Leistungen abzurufen?

Matthias Steiner: Wie man in London leider gesehen hat, gehört da wirklich viel dazu. Eigentlich war ich dort recht gut in Form, obwohl ich aufgrund der Operation am Oberschenkel, die 11 Monate zurücklag, gemerkt habe, dass noch etwas fehlt. Da sieht man, wie schwer es wirklich ist. Solche Spitzenleistungen sind mit viel Disziplin, vielen Entbehrungen, wenig Öffentlichkeitsarbeit verbunden.

netzathleten: Wie groß war der mentale, wie groß der körperliche Anteil an Deinen Erfolgen?
Matthias Steiner: Die körperlichen Voraussetzungen zu schaffen, gelang mir immer gut, da hatte ich ein gewisses Talent. Es überwog aber das mentale, weniger wegen der Nerven, vielmehr galt es, die Konzentration so lange aufrecht zu erhalten.

netzathleten: Mal abgesehen vom Herzen, was war denn eigentlich Dein wichtigster Muskel?
Matthias Steiner: Der Quadrizeps, auf der Vorderseite des Oberschenkels.

netzathleten: Lag darauf dann auch immer der Schwerpunkt der Trainingsarbeit?
Matthias Steiner: Gar nicht mal. Aber der Quadrizeps ist immer im Einsatz, egal, ob man aus der Hocke aufsteht oder Kniebeugen macht. Der macht immer die Arbeit, ist am stärksten beansprucht. Allerdings werden beim Freihanteltraining auch die Arme und der Rücken, eigentlich der ganze Körper, ständig beansprucht.

netzathleten: Seitdem Du 19 bist hast Du Diabetes Typ 1. Musstest Du neben der täglichen Insulinspritze als Leistungssportler noch auf etwas anderes achten?
Matthias Steiner: Leistungssport und Diabetes treffen sich eigentlich ganz gut, da man verstärkt auf seinen Körper achten muss. Für mich existierten diese beiden Themen also nie nebeneinander, sondern gehörten zusammen. Ich kann aber auch mal über die Stränge schlagen. Wenn ich sehr viel trainiert habe, vertrage ich also auch mal etwas Deftiges. Und das gönne ich mir dann auch mal, man kann ja nicht nur verzichten. Das macht auch jeder Sportler einmal, denke ich, es darf nur nicht zur Regelmäßigkeit werden. Eine ausgewogene Ernährung ist das A und O bei uns.

netzathleten: Wie muss man sich das denn vorstellen, wenn Du über die Stränge schlägst?

Matthias Steiner: Ich gönne mir dann eine Pizza, ein Schnitzel. Ganz selten sogar Fast Food. Aber dann fahre ich zum Autoschalter und esse das heimlich irgendwo auf dem Feld, weil ich ja auch eine Vorbildfunktion habe. Ich möchte nicht, dass Kinder mich da in einem Burger-Restaurant sehen und denken, sie würden dadurch genauso stark wie ich. Deshalb verstehe ich auch keine populären Sportler oder Verbände, die dafür Werbung machen.

netzathleten: War Dir diese Erkrankung dann vielleicht sogar ein wenig hilfreich, um den eigenen Körper besser kennenzulernen?
Matthias Steiner: Leistungssport und Diabetes schließen sich zunächst mal nicht aus. Die Wahrnehmung des eigenen Körpers hat es auch verbessert. Natürlich kann Diabetes auch hinderlich sein. Sobald etwas nicht passt, ist der gesamte Stoffwechsel durcheinander, das ist ein ganz komplexes Thema.

netzathleten: Aufgrund Deiner Körpermasse und Deiner Leistungen, wie viele Kalorien hast Du denn während des Trainings am Tag verbraucht? Oder anders: Wie hast Du Dein Gewicht gehalten?
Matthias Steiner: Das variierte stark mit der jeweiligen Trainingsphase. Im Internet kursiert die Zahl 8.000 Kalorien. Das stimmt auch, aber nur dann, wenn ich wahnsinnig große Umfänge trainiert habe, in der Anfangsvorbereitung. Und das ging auch nur in Kombination mit Kohlenhydrat- und Eiweißshakes, die sehr viele Kalorien enthalten. Mit normaler Nahrungsaufnahme war das nicht machbar. Ansonsten verbrauchte ich im Training zwischen 4.000 bis maximal 5.000 Kalorien pro Tag.



netzathleten: Durch den Sport hast Du die Krankheit in den Griff bekommen und er hat Dir auch geholfen, den Verlust Deiner ersten Frau zu verarbeiten. Warum konnte der Sport Dir so viel Kraft geben?
Matthias Steiner: Der Sport hat die entscheidende Eigenschaft, dass man sich ein Ziel setzen kann. Wenn man ein Ziel hat, dann will man das auch erreichen. Das geht nur ohne Abstriche. Und wenn man in einem Sport wie dem Gewichtheben aktiv ist – ich will jetzt nicht sagen, dass andere Sportarten nicht hart sind – dann ist man durch den enormen Aufwand so abgelenkt, dass man nicht an andere Dinge denken muss oder kann.

netzathleten: Vielen Dank und viel Erfolg für die Zeit nach der Karriere, Matthias!

 

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