Die EM-Gruppen im Porträt: Gruppe B - Deutschland in der „Todesgruppe“ picture-alliance

Die EM-Gruppen im Porträt: Gruppe B - Deutschland in der „Todesgruppe“

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Die Gruppe B ist die wahrscheinlich ausgeglichenste bei der EuroBasket 2011. Ausgerechnet in dieser „Todesgruppe“ steckt Deutschland, zusammen mit Turniermitfavorit Serbien, den mit NBA-Stars bestückten Italienern und Franzosen, den erfahrenen Israelis und Außenseiter Lettland.

 

Deutschland: Nowitzkis Ansturm auf Olympia 2012

Die deutsche Nationalmannschaft steht vor einem Sommer mit außergewöhnlicher Bedeutung – und das aus mehrerlei Gründen. An erster Stelle ist dabei die Rückkehr von Dirk Nowitzki und Chris Kaman zu nennen, die nach Peking 2008 nun wieder im deutschen Kader stehen. In Litauen kommt es erstmals bei einem großen Turnier zur Zusammenkunft der beiden NBA-Veteranen mit der jungen Generation um Robin Benzing und Tibor Pleiß, die bei den letzten beiden Großwettbewerben in Polen (EM) und der Türkei (WM) auf der Suche nach einer neuen deutschen Basketball-Identität gewesen war. Außerdem ist die EuroBasket 2011 für Deutschland eine große Chance, sich nach 2008 wieder für Olympische Sommerspiele zu qualifizieren – insbesondere für Dirk Nowitzki eines der großen Ziele, die der frischgebackene NBA-Champ noch verfolgt. Und zu guter Letzt könnte die EM auch für Dirk Bauermann eine besondere Bewandtnis haben, denn ob er National-Coach in Zeiten, in denen die Ausübung der Doppelfunktion untersagt ist, so schnell wieder auf den Trainerstuhl zurückkehren wird, darf angezweifelt werden.

Die EM könnte deswegen die erste und letzte Gelegenheit sein, die Nationalmannschaft in einer Synthese aus alten und jungen Kräften zu erleben – Coach Bauermann miteingeschlossen. Im Gegensatz zu den Vorjahren ist deswegen auch die Frage nach den Führungsspielern eine ganz andere: Dirk Nowitzki steht nach seinem umjubelten Comeback unangefochten an der Spitze des deutschen Teams. Es wird sein, als wäre er nie weg gewesen: Der große Blonde ist der Go-to-guy, Mittelpunkt der Offensive und der Mann für die großen Würfe. Nach seinem Titelgewinn in der NBA ist der Respekt im internationalen Basketball vor Nowitzki größer denn je.

Nicht zu vernachlässigen ist aber die Tatsache, dass der Dirkster bis tief in den Juni für die Dallas Mavericks in den Playoffs die Knochen hinhalten musste. Es wird wichtiger denn je sein, dem 33-Jährigen auch Pausen zu verschaffen. Diesbezüglich kann sich Nationaltrainer Bauermann glücklich schätzen, mit Chris Kaman eine weitere gefährliche Option auf den großen Positionen in der Hinterhand zu haben. Der US-Amerikaner mit deutschen Vorfahren tat sich bei Olympia 2008 zwar nicht immer ganz leicht mit der Spielweise und härteren Gangart im internationalen Spitzenbasketball; mit seinem guten Low-Post-Spiel und der Rebound-Stärke gibt er dem deutschen Team aber eine qualitativ hochwertige Ergänzung zum Spiel Dirk Nowitzkis.

Neben den beiden NBA-Stars kann Dirk Bauermann eine breite Masse an talentierten Spielern aufbieten. Jan Jagla rückt durch das Nowitzki-Comeback ins zweite Glied zurück und liefert von der Bank nun viel Erfahrung und eine furchtlose Klinke. Auch Tibor Pleiß ist an der Seite von Chris Kaman besser aufgehoben denn als Starter und Leistungsträger, kann mit seiner Länge und dem soliden Wurf aber wichtige Elemente ins Spiel bringen. Die Small-Forward-Position teilen sich die beiden 22-jährigen Robin Benzing und Philipp Schwethelm, die zu den talentiertesten deutschen Nachwuchsakteuren gehören. Vor allem Benzing wird bei seinem dritten großen Turnier aber beweisen müssen, dass er auch auf internationalem Level Fortschritte gemacht hat. Der Frontcourt ist zweifellos das Prunkstück des deutschen Teams – ganz im Gegenteil zum Backcourt.

Denn auf den kleinen Positionen fehlt es dem deutschen Team an einem internationalen Spitzenspieler. Viel schlimmer: Bis auf Heiko Schaffartzik besteht das Guard-Quartett des deutschen Teams aus Rollenspielern und Spezialisten. Die vermeintlichen Starter Steffen Hamann und Johannes Herber sind zwar Spieler ganz nach Dirk Bauermanns Geschmack – defensivstark, einsatzfreudig und mannschaftsdienlich –, aber vor allem offensiv mangelt es dem Duo an Durchschlagskraft. Hamann ist durch seinen wackligen Wurf ausrechenbar, Herber ist als designierter Defensivterrier oft zu uneigennützig und zurückhaltend. Backup-Zweier Lucca Staiger ist ein reiner Wurfspezialist, der von draußen heiß laufen kann, ansonsten aber keine andere Waffe im Repertoire hat. Bleibt der bereits erwähnte Heiko Schaffartzik: Der Berliner hat sich spätestens bei der WM im vergangenen Jahr zu einem europäischen Qualitätsspieler entwickelt, der inzwischen nicht nur für sich, sondern auch für andere kreieren kann. Schaffartzik ist mit 1,83 Meter für einen Euro-Guard aber relativ klein; können sich gegnerische Verteidigungsreihen auf ihn als einzigen Kreativspieler im Backcourt fokussieren, bekommt er hin und wieder Probleme.

In der Vorbereitung hinterließ das deutsche Team insgesamt einen guten Eindruck. Siege gegen EM-Teilnehmer wie Serbien (59:58), Türkei (79:72; 64:52) oder Bosnien-Herzegowina (86:64) – teils auch noch ohne Nowitzki und Kaman – zeigten den Fortschritt des deutschen Teams. Das Ziel lautet, unter die besten sechs der EM zu kommen. Damit würde sich Deutschland für das Qualifikationsturnier für Olympia 2012 in London qualifizieren. Unmöglich ist das nicht, aber in Anbetracht des ausgeglichenen Teilnehmerfeldes und der schweren deutschen Gruppe B wird es ein schwerer Weg nach London.

Frankreich: Talentierter denn je

An Talent mangelte es der französischen Nationalmannschaft noch nie. Schon in der Vergangenheit waren die Teams von „Les Bleus“ mit großen Namen des internationalen Basketballs gespickt. In Anbetracht des individuellen Potenzials war die Ausbeute Frankreichs bei großen Turnieren bis dato aber mangelhaft: Mit Ausnahme eines dritten EM-Platzes 2005 und einer olympischen Silbermedaille aus Sidney 2000 konnten die Franzosen in den letzten Jahrzehnten kaum nennenswerte Erfolge einfahren.

In diesem Jahr würden es die Funktionäre im deutschen Nachbarland begrüßen, wenn die maue Bilanz etwas aufgebessert werden könnte. Dazu wurde – selbst für französische Verhältnisse – ein außergewöhnlich starkes Team zusammengestellt. Coach Vincent Collets Aufgebot liest sich wie eine NBA-Auswahlmannschaft: Neben Aufbauspieler Tony Parker (San Antonio Spurs), dem Flügelduo Nicolas Batum (Portland TrailBlazers, SLUC Nancy) und Boris Diaw (Charlotte Bobcats), dem athletischen Big Man Ian Mahinmi (Dallas Mavericks) und Mickael Pietrus (Phoenix Suns) geht in diesem Sommer erstmals auch Joakim Noah (Chicago Bulls) für „Les Bleus“ bei einem großen Turnier auf Korbjagd. Coach Collet warnt aber vor zu großer Euphorie um den Defensivspezialist: „Er hat nicht die Erfahrung anderer Spieler aus der Gruppe. Von daher sollte man ihm nicht zu viel Druck machen.“

Zumal Noah den erfahrenen Ronny Turiaf an seiner Seite vermissen wird, der mit einer Handverletzung die EM verpassen könnte. „Sein möglicher Ausfall wäre ein herber Schlag für uns“, meint Vincent Collet. Auch ohne Turiaf wird Frankreich zum erweiterten Favoritenkreis zählen. Mit dem ganz großen Wurf ist allerdings nicht zu rechnen. Dafür sind hochkarätig besetzte Teams aus der République française in der Vergangenheit zu oft an den hohen Erwartungen gescheitert.

Italien: Auf dem Weg nach oben

In der italienischen Nationalmannschaft hat sich über die letzten Jahre hinweg ein Generationenwechsel vollzogen. Altstars wie Gianluca Basile, die über ihren Zenit hinaus waren, wurden aussortiert oder verabschiedeten sich aus dem Team; eine Reihe junger Akteure rückte nach. Der Paradigmenwechsel war auch dringend nötig, denn an die Erfolge um die Zeit der Jahrtausendwende (EM-Gold 1999, Olympia-Silber 2004) war Italien zuletzt nicht mehr herangekommen. Die letzten drei Großturniere (Olympia 2008, die EuroBasket 2009 und die WM 2010) hatten die „Azzuri“ sogar komplett verpasst.

Nun scheint Italien erstmals wieder in der Lage, der Konkurrenz auf internationalem Level Paroli zu bieten. Das neue Team wurde um einen Kern von Spielern herum aufgebaut, die in der NBA aktiv sind. Dank den Scharfschützen Marco Belinelli (New Orleans Hornets) und Danilo Gallinari (Denver Nuggets) ist Italien jederzeit in der Lage, heiß zu laufen. Dass es dann für jeden Gegner ungemütlich werden kann, bekam Griechenland in der Vorbereitung zu spüren (82:73). Mit Andrea Bargnani (Toronto Raptors) verfügen die Südeuropäer auch auf den großen Positionen über eine wurfstarke Option. Mit dem 23-jährigen Daniel Hackett, dem Sohn des früheren NBA-Akteurs Rudy Hackett, leitet zudem ein junger Guard das italienische Spiel.

Das neue Team Italiens verfügt über großes Potenzial, aber (noch) wenig Erfahrung. Unter den Leistungsträgern ist kaum ein Akteur älter als 25 Jahre. „Es ist langer Weg für uns, auf dem wir viel Erfahrung sammeln“, sagt Nationalcoach Simone Pianigiani. Ein wichtiger Entwicklungsschritt ist deswegen auch die EM: In der ausgeglichenen Gruppe B wäre schon das Erreichen der Zwischenrunde ein Erfolg für Italien.


Israel: Kleines Land mit großem Herzen

Basketball hat in Israel eine lange Tradition. Die landeseigene Premier League – und allen voran Vorzeigeclub Maccabi Tel Aviv – genießt international großes Ansehen. Die israelische Nationalmannschaft ist ebenfalls seit vielen Jahrzehnten bei fast jedem EM-Turnier vertreten, auch wenn es am Erfolg der Clubmannschaften fehlt. Die Silbermedaille von 1979 ist da die rühmliche Ausnahme. „Wir sind ein kleines Land mit großem Herzen“, sagt Lior Eliyahu über seine Heimat.

Der 25-Jährige ist eine der Stützen in einem Team, das auf allen Positionen tief besetzt ist. Der 2,03 Meter große Eliyahu (Maccabi Tel Aviv) und Omri Casspi (Cleveland Cavaliers) bilden zusammen ein vielseitiges Forward-Duo, das gleichzeitig das Prunkstück der Mannschaft ist. Jedoch fällt Casspi wegen einer Knieverletzung das komplette Turnier aus. Mit Guard Yotam Halperin (St. Petersburg) und dem gebürtigen US-Amerikaner David Blu (früher: David Bluthenthal; Maccabi Tel Aviv) kann Nationalcoach Arik Shivek auch auf anderen Positionen auf viel Routine zurückgreifen.

Da viele Akteure bei den heimischen Klubs in internationalen Wettbewerben stehen, mangelt es auf keiner Position an Erfahrung. Der Kader ist ausgeglichen und vielseitig. Hier liegt aber gleichzeitig auch der Hund begraben: Für den großen Wurf fehlt dem israelischen Team ein großer Star und Go-to-guy, zumal mit Casspi ein Leistungsträgenicht zur Verfügung steht. Um die Vorrunde zu überstehen, muss es für Israel mehr als gut laufen.

Serbien: Balkanstaat in Lauerstellung

Serbien geht als amtierender Vize-Europameister in die EuroBasket 2011. Vor zwei Jahren in Polen überraschte eine blutjunge serbische Mannschaft die Basketball-Welt mit erstickender Defense und großer Abgeklärtheit. Der vierte Rang bei der WM 2010 in der Türkei bestätigte: In Serbien wächst eine außergewöhnliche Basketball-Generation heran.

Der Talentpool im serbischen Basketball war selten größer als heute. Trainerkoryphäe Dusan Ivkovic kann auf allen Positionen großes Potenzial auffahren. Im Backcourt verfügt Ivkovic mit Milos Teodosic (Foto; 24 Jahre, 1,95 Meter) über einen außergewöhnlich großen und talentierten Spielmacher, der zu den besten seines Faches zählt. Ohnehin: Die Länge und Agilität der Backcourt-Spieler wie Milenko Tepic (24 Jahre, 2,00 Meter) oder Uros Tripkovic (25, 1,97) war in den letzten Jahren einer der Schlüssel zur starken serbischen Verteidigung. Auch im Frontcourt fehlt es dem Team durch Kosta Perovic nicht an Talent. Real Madrids Youngster Novica Velickovic ist dieses Jahr nicht dabei. Die Routiniers im Team sind mit je 28 Jahren der NBA-erfahrene Center Nenad Krstic und Power Forward Dusko Savanovic.

Die Tiefe und Qualität der Serben ist nahezu unübertroffen im europäischen Basketball – nur Spanien ist noch besser besetzt. Die Iberer sind der große Widersacher, den es zu schlagen gilt. Im WM-Viertelfinale bewies Serbien bereits, dass es Spanien den Zahn ziehen kann (92:89). Während die Mannschaft um Pau Gasol aber trotzdem als „team to beat“ ins Turnier geht, zählt Serbien zum erweiterten Favoritenkreis.

Lettland: Heimspiel in Litauen

Die Basketball-EM 2011 findet zwar in Litauen steht, für das lettische Team könnte das Turnier aber trotzdem so etwas wie ein „Heimspiel auf fremdem Boden“ werden. Als direkter Nachbar Litauens hat die lettische Fanbasis quasi direkten Zugang zu den Spielen, zumal Siauliai, Ausgangsort der Vorrundengruppe B, nur einen Katzensprung von der gemeinsamen Grenze entfernt liegt.

Die Unterstützung von den Rängen könnte dem Team von Coach Ainars Bagatskis den entscheidenden Schub verleihen, den der vermeintlich schwächste deutsche Gruppengegner benötigen wird. Denn Lettland geht mit einem der jüngsten Kader des Turniers an den Start. Kein Spieler ist älter als 28 Jahre – und mit Andris Biedrins (25) fehlt auch noch der international erfahrenste Mann. Durch die Abstinenz des NBA-Centers und Kaspars Kambala klafft unter dem Korb eine Lücke. Viel Verantwortung wird deshalb auf die Außenspieler zukommen. Auch hier haben die Letten mit dem 20-jährigen Janis Strelnieks und dem 23-jährigen College-Absolventen Rihards Kuksiks viel Jugend und Potenzial in ihren Reihen.

Lettland hat nur eine Außenseiterchance aufs Weiterkommen. In der Gruppe mit Serbien, Frankreich, Italien und natürlich der deutschen Auswahl dürfte das baltische Land zu wenig Erfahrung und vor allem auf den großen Positionen zu wenig Qualität mitbringen, um in die Zwischenrunde einzuziehen.

Joshua Wiedmann, crossover-online.de

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